Potentialentfaltungskultur statt Wissensvemittlung

 

Unser derzeitiges Bildungssystem, welches Wissensaneignung mit Belohnung und Strafe (= nicht Belohnung) zu vermitteln sucht, ist nicht hirn- und schon lange nicht kindgerecht. Der Neurobiologe Prof. G. Hüther nennt es daher eine Dressurmethode, wie bei dem Esel, der – um ihn zum Laufen zu bewegen vorne eine Möhre, eine Belohnung hingehalten bekommt und Hinten die Peitsche erhält, als Strafe, wenn die Möhre nicht funktioniert. Auch lernt der Esel sehr schnell, wie er an die Möhre kommt – ohne sich viel zu bewegen – oder der Peitsche immer geschickter auszuweichen.

 

Für wen ist diese Situation wohl anstrengender? Lehrer oder Lernender? Hilfreich ist diese Methode für beide nicht! Neben den Lehrern gibt es nun auch erste Grundschüler mit Burnout. Geht es in einem Bildungssystem nicht darum, den Potentialen der Kinder zur Entfaltung zu verhelfen, um einen gemeinsamen Lernprozess in dem auch Entwicklungsbegleiter lernen? Kinder haben mit ihren Gehirnen Fähigkeiten, ein unglaubliches Potential mitgebracht, dass sich ausdrücken will. In diesem Lernprozess geht es zunächst um Gefühle, um Beziehung und Entfaltung - nicht um Wissen!

 

Achte auf deine Gefühle, sie werden zu deinen Gedanken.

Achte auf deine Gedanken, sie werden zu deinen Worten.

Achte  auf deine Worte, sie werden zu deinen Taten.

Achte auf deine Taten, sie werden zu deinem Schicksal.

Spruch aus dem Talmud

 

Dieser Spruch verdeutlicht, womit wir beginnen sollten, als Entwicklungsbegleitung unserer Kinder, als ihre VORbilder. Gefühle zu entwickeln steht an erster Stelle. Mit der Geburt eines jeden Kindes tritt es in eine ganz sensible Phase. Denn die vorgeburtliche Erfahrung, welche das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermittelte, dass eine enge Bindung - und trotzdem ein innereigenes Wachstum möglich ist, muss nun außerhalb des Körpers der Mutter erfolgen. Dies ist die größte Sehnsucht eines jeden Menschen, Verbundenheit und Wachstum. Vorgeburtlich haben wir erfahren, dass dies geht.

 

Lange hatten wir geglaubt, dass Entwicklung unserer Kinder vornehmlich über die Gene bestimmt ist, es also entscheidend ist, ob wir die „richtigen“ Gene ver- oder gerbt haben. Noch wird geglaubt, dass Gehirn sei wie eine Maschine oder ein Muskel. Wenn wir es nur fleißig benutzen, dann wächst es auch, wie ein Muskel. Die aktuelle Neurobiologie belegt, dass diese Ansicht ein Irrtum ist! Ein Gehirn wächst nicht, nur weil man es benutzt, es wächst nur dann, wenn auch neuroplastische Botenstoffe ausgeschüttet werden.

Dies geschieht, wenn wir unser Gehirn „mit Begeisterung“ benutzen, was für uns auch „bedeutsam“ ist. Jede Lernsituation, die diesem entspricht schafft nachhaltige Synapsenverschaltungen. Bei jedem Kind unter drei Jahren wird, so der Neurobiologe Prof. Gerald Hüther, die Gießkanne der Begeisterung neuroplastischer Botenstoffe so 50 -100 mal am Tag aktiv, wenn es sich seine Umwelt aus innereigenem Antrieb erschließen kann. Und was geschieht dann in der Schule?

 

Wie in einem Samenkorn, welches auf fruchtbaren Boden fällt und sich so entfalten kann, ist in jedem Kind ein inneres Programm aktiv, dass es sich ebenfalls entfalten könnte. Es braucht nur den entsprechenden Boden und das passende Klima dazu. Achtsame Begleiter dieses Entfaltungswunders haben die Aufgabe, für den richtigen Boden und entsprechendes Klima zu sorgen.

 

Es geht in der Bildung unserer Kinder nicht nur um kognitive Vermittlung von Wissen, sondern um die Entfaltung aller innereigenen Potentiale. Gefühle, Bedeutsamkeit und Begeisterung zu fördern - ist Aufgabe von Entwicklungsbegleitern, nicht - Kinder mit Wissen abzufüllen wie Fässer – und nun auch schon im Kindergarten.

 

Mit dem Verlust des ungelenkten, freien Spiels der Kinder, geht auch Kindheit verloren. Dies dürfen wir nicht zulassen!